Die Stadt Speyer geht innovative Wege im kommunalen Klimaschutz. Bei der Umsetzung des seit gut zehn Jahren existierenden Klimaschutzkonzepts löst man sich von der bloßen Errechnung eingesparter Treibhausgase und fokussiert sich darauf, die eigene Verwaltung in die Lage zu versetzen, die im Sinne von Nachhaltigkeit zu entscheiden. Dabei wird künftig ein „Digitaler Zwilling“ helfen – für die Stadt und das Land Rheinland-Pfalz ein Leuchtturmprojekt.
„Strategien zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an die zu erwartenden Klimawandelfolgen müssen vor allem in unseren Kommunen greifen“, sagte Umweltministerin Katrin Eder, als sie jüngst den Förderbescheid in Höhe von 978.000 Euro für den Aufbau eines Digitalen Zwillings an Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler sowie den Geschäftsführer der Stadtwerke Speyer Wolfgang Bühring übergab. Weil das Projekt auch als „Blaupause“ für andere Kommunen im Land dienen soll, fördert es das Klimaschutzministerium zu 100 Prozent.
Umfassende Resilienz gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels wird nicht nur in Speyer angestrebt. Im Sinne des Kommunalen Klimapakts (KKP) soll die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf alle rheinland-pfälzischen Kommunen ermöglicht werden.
„In Rheinland-Pfalz haben wir das globale 1,5-Grad-Ziel mit 1,7 Grad bereits übertroffen und Speyer gehört schon heute zu den wärmsten Städten Deutschlands“, so Ministerin Eder. „Durch den Klimawandel wird sich die klimatische Situation weiter in Richtung Hitze und wachsender Gefahr von Starkregenereignissen verändern.“
Simulation komplexer Wirkungen
„Alles hängt mit allem zusammen“, sagt Klimaschutzmanagerin (KSM) Katrin Berlinghoff und erläutert so den erhofften Nutzen des Digitalen Zwillings für Speyer. Die Folgen jeder Entscheidung, jeden Prozesses ließen sich mithilfe des Tools simulieren.
Zielrichtung in erster Priorität ist für sie sowie Björn Freitag und Georg Weyrich, die beiden Projektleiter, die eigene Verwaltung, in zweiter Linie selbstredend auch die Bürgerschaft, deren Beteiligung beispielweise bei der kommunalen Wärmeplanung unerlässlich ist, wie Weyrich unterstreicht: „Die Bürger müssen mitmachen, sonst entstehen keine Wärmenetze. Und sie müssen Folgewirkungen von Maßnahmen mittragen – ein Beispiel: Wir haben 200 Kilometer Gasleitungsnetz in Speyer. Wenn bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen stattdessen andere Leitungen gebraucht werden, etwa für Wärme, dann hat das Auswirkungen auf Verkehr und Stadtbild.
Konkrete Belege erwartet
Die erleichterte Prüfung solcher Auswirkungen soll vor Beschlüssen als Argumentations- und Entscheidungshilfe dienen. Denn in den politischen Gremien werde häufig die Frage aufgeworfen, „was bringt es denn wirklich?“. Belege könne dann der Digitale Zwilling liefern, erwartet Björn Freitag, Stabsstellenleiter strategische Stadtentwicklung und Zukunftsfragen von Seiten der Stadt Leiter des Projekts.
Die Entwicklung des Zwillings ist ein Gemeinschaftsprojekt von Stadtwerken und Stadt. Am Anfang steht das Sammeln von Daten, in sehr großem Umfang.
„Vom Bauantrag über die Stadtplanung bis hin zum Katastrophenschutz – in allen Bereichen sollen Situationen zunächst simuliert werden. Mithilfe dieser Simulationen und auf Basis wissenschaftlicher Daten kann dann ein sachlicher Diskurs um die notwendigen Veränderungen geführt und entschieden werden, was umgesetzt werden soll“, erläutert Oberbürgermeisterin Seiler. Wenn alles glatt läuft, soll ab 2026 dies möglich sein.
Weitere Kommunen erwünscht
Am Projekt beteiligt ist auch das Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI); fachlich begleitet wird es vom Deutschen Wetterdienst und einem Beirat, in den weitere Kommunen mit einsteigen können. Einen entsprechenden Appell hat der rheinland-pfälzische Städtetag veröffentlicht.
Deren Mitwirkung soll vor allem der späteren Übertragbarkeit auf andere Kommunen zugutekommen, nicht der Verteilung von Aufwand. Die Entwicklungskosten trägt vollständig das Land; der Personaleinsatz bleibt bei Stadtverwaltung und Stadtwerken in Speyer hängen. Quantifizieren lässt sich dieser Aufwand derzeit noch nicht, allerdings sind die beiden Projektleiter sozusagen „abkommandiert“ für die Zwilling-Entwicklung.
Stellschrauben der Stadt
Derweil wird in Speyer unvermindert die Umsetzung der Klima-Strategie vorangetrieben; sie war bis März 2023 mit dem Wuppertal Institut entwickelt worden. Festgehalten sind darin alle Möglichkeiten und Stellschrauben, die die Kommune hat, um das rheinland-pfälzische Ziel einer Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2035, spätestens aber bis 2040 zu erreichen.
Statt der „klassischen“ Fokussierung nur auf die Treibhausgas-Einsparungen setzt die von Klimaschutzmanagerin Berlinghoff beschriebene Neuausrichtung auf Kompetenz- und Sensibilitäts-Vermittlung in die Verwaltung hinein: „Wir wollen die Leute in die Lage versetzen, richtige Entscheidungen zu treffen, auch bei vermeintlich kleinen Themen“ – über ein Leitbild-Konzept. „Das Entwickeln einer Grundhaltung und Verinnerlichen der strategischen Ausrichtung hin zu einer nachhaltigeren Stadt ist dafür die Voraussetzung, was mit vielen Gesprächen, Infos und Bildungsformaten erreicht werden soll“, ergänzt sie. Bei allen Entscheidungen sollen künftig die Auswirkungen auf das Klima hinsichtlich Schutz und Anpassung berücksichtig werden. Zu den dafür eingesetzten Instrumenten zählt auch der Digitale Zwilling.