Eine durchgrünte Siedlung soll entstehen. Straßen, Entwässerung, Begrünung, Freiflächen, Bachlauf und Teich – all das wird unter dem einen Ziel geplant: Das Neubaugebiet „Am Sonnenbach“ der Stadt Selters soll sich den Klimawandelfolgen anpassen. Und vor allem auch die Versorgung der Haushalte mit Wärme dient diesem übergeordneten Ziel. Alle Haushalte werden mit Erdwärme über ein Kaltes Nahwärmenetz versorgt.
Nachhaltigkeit stehe als Anforderung über allen planerischen Details, betont Stadtbürgermeister Rolf Jung. Denn in der Westerwaldgemeinde Selters Mikroklimata mit hohem Verdunstungsgrad zu erzeugen, hat in diesem Zusammenhang einen großen Stellenwert. Das gestalte die Entwässerung besonders herausfordernd. Und zudem müsse sie, als Folge der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021, nach „Maßgabe HQ 100 erfolgen“, was bedeutet: die Wassermassen eines statistisch alle 100 Jahre drohenden Hochwassers zu bewältigen.
Das beauftragte Planungsbüro wollte die 55 verkäuflichen Bauplätze und ein geplantes Nachbarschaftszentrum „mit erlebbaren Gewässern verknüpfen und lebenswerte Naherholungsräume schaffen“ – gestützt auf eben diese Entwässerung. Es gibt ein getrenntes Kanalsystem für Schmutz- und Oberflächenwasser, Regenrückhaltung sowie Anlagen, die Oberflächenwasser möglichst lang an der Oberfläche lassen.
Dass die Entwässerung nicht vollständig oberirdisch möglich ist, hängt laut Projektleiter Achim Linder von den Verbandsgemeindewerken vor allem mit dem hohen Grundwasserstand zusammen – und dem Umstand, „dass Versickerung im Westerwald mit seinem großen Ton-Anteil in den Böden eher schwierig“ sei. Deshalb gebe es im Neubaugebiet Am Sonnenbach eine große städtische Zisterne für die Reihenhäuser (wenig Grundstücksfläche), private Zisternen als Bauverpflichtung bei den anderen Bauplätzen.
Viel Raum für Grün
Fünf Bebauungstypen sind vorgesehen, von Reihenhäusern über ein- und zweigeschossige Einfamilienhäuser bis hin zu Doppelhäusern. Und obwohl die Bauplätze kompakt zugeschnitten sind, bleibt viel Raum für Grün. Entlang des namengebenden Baches entsteht eine parkähnliche Anlage mit Teich, öffentlich zugänglich.
Erste Ansätze für die nachhaltige Bauleitplanung fußen Projektleiter Linder zufolge auf Erfahrungen der Stadt Schifferstadt; die eigene Bauleitplanung entwickelte ein Planungsbüro mit Unterstützung durch die Transferstelle Bingen (TSB). Dass sämtliche Grundstücke an ein Kaltes Nahwärmenetz angeschlossen werden, war nach erfolgreichen Probebohrungen unumstritten.
Wärme von den Verbandsgemeindewerken
Ganz bewusst habe man „die Aufgabe der Kalten Nahwärmeversorgung auf die Verbandsgemeinde übertragen, weil wir Gewinnmaximierungsstreben vermeiden wollten“, sagt Stadtbürgermeister Jung. Die Abrechnung der Verbandsgemeindewerke setzt sich aus einem Sockelbetrag und einem von der bebauten Fläche abhängigen wiederkehrenden Nutzungsentgelt zusammen: „Wer mehr Wohnfläche hat, zahlt auch mehr“, so Werkleiter Linder.
Das geothermische Nahwärmenetz besteht aus Erdwärmesonden an der Bachaue und unter dem Spielplatz. Die dort geförderte Erdwärme wird über ein Rohrleitungsnetz unter der Straße verteilt. Dabei entzieht das Netz auch auf der Strecke zu den einzelnen Gebäuden weitere Wärme aus dem Erdreich. Die erforderliche Heizungstemperatur schaffen individuelle Wärmepumpen, für deren Betrieb die Kommune allen Bauwilligen eigene Photovoltaikanlagen auf dem Dach dringend anrät.
Als beispielhaft bezeichnet Michael Münch von der im Planungsprozess eingebundenen Transferstelle Bingen das Projekt, weil es das biete, was derzeit an Nachhaltigkeit sinnvoll umzusetzen ist. Und beispielgebend ist für ihn auch die Wärmeversorgung für das künftige Quartier, nicht zuletzt wegen der gewählten Betriebsform. Denn vielerorts seien Gemeindewerke auf Wasser und Abwasser fokussiert; wenn sich zusätzliche Know-how im Bereich der Wärmeversorgung aufbauen lasse, dann sei dies ein wichtiger Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der kommunalen Wärmeplanung und zur Steigerung der Wertschöpfung ländlicher Gemeindewerke durch neue Geschäftsfelder.
Kühlung im Sommer
Die „gute Wärmequelle“ – so eine Informationsschrift der Stadt Selters – könne noch mehr: „Da das Erdreich im Sommer kühler als unsere gewünschten Raumtemperaturen ist, kann den Gebäuden über die Fußbodenheizungen ein Teil der sommerlichen Hitze entzogen und im Erdwärme-Sondenfeld ,saisonal‘ zwischengespeichert werden. Es findet also quasi ein Wärmerecycling statt: Die Wärme, die im Sommer aus den Gebäuden gezogen wird, erwärmt das Erdreich. Dadurch liegen im Winter höhere Starttemperaturen vor. Das erhöht die Effizienz und führt zu einem geringeren Stromverbrauch beim Heizen.“
Bei der sommerlichen „passiven“ Kühlung falle kein nennenswerter Stromverbrauch an. Sommerliches Kühlen sei nicht nur angenehm, es lohne sich für den Klimaschutz und spare Kosten durch geringeren Stromverbrauch im Winter.
Auf den Quadratmeterpreis wirken sich neben der schwierigen verkehrstechnischen Erschließung auch die hohen Nachhaltigkeitsstandards aus; sie bewegen sich nun zwischen 176 und 196 Euro, pro Bauplatz kommen so rund 60.000 Euro (Reihenhäuser) und gut 90.000 Euro zusammen. Die ursprünglich enorme Zahl von Interessenten ist geschrumpft, knapp 40 Prozent der Grundstücke sind reserviert, berichtet Stadtbürgermeister Rolf Jung. Und er setzt gleich hinzu: „Es ist nicht mehr die Zeit, nur auf die Kosten zu achten. Sondern darauf, was richtig ist oder falsch. Wir hatten einige dicke Bretter zu bohren, das haben wir gemacht.“