Erneuerbare Energien

Die „Energiekommune des Jahrzehnts“ setzt immer noch eins drauf


Er gilt als Paradebeispiel dafür, wie Strukturwandel dank erneuerbarer Energien gelingen kann: der Rhein-Hunsrück-Kreis. Seit drei Jahren ist der Landkreis zwischen Mosel, Rhein und Soonwald  bilanziell klimaneutral – und vor ziemlich genau drei Jahren wurde er deshalb von der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) in Berlin mit dem Titel „Energie-Kommune des Jahrzehnts“ ausgezeichnet. In der „Heimat der Energiewende-Vormacher“, so der Titel eines Films von FechnerMEDIA, gibt man sich mit dem Erreichten keineswegs zufrieden, sondern setzt weiterhin vorbildliche Projekte um.

Die Energiewende im Rhein-Hunsrück-Kreis präsentiert sich vielfältig. 18 kommunale Nahwärmeverbünde versorgen Häuser auf Basis von Waldrestholz, ein weiterer – größer als alle bisherigen – entsteht derzeit im Dorf Mastershausen. Die Nahwärmenetze in Neuerkirch-Külz und Ellern, solarthermisch unterstützt, dienten als Muster. Das Baum- und Strauchschnittkonzept der kreiseigenen Rhein-Hunsrück Entsorgung (RHE) zur Beheizung von Schulzentren gilt bereits seit mehr als zehn Jahren bundesweit als vorbildlich.

Bild: RHE / Tobias Mladek
Vorzeigeprojekt in der Referenzregion für die Energiewende: Die eben offiziell in Betrieb genommene Bioabfall-Vergärungsanlage der Rhein-Hunsrück Entsorgung

Soeben hat der Entsorgungsträger eine von der Landesregierung als Leuchtturmprojekt eingestufte und geförderte Bioabfall-Vergärungsanlage offiziell in Betrieb genommen. Aus den in den Haushalten im Kreis gesammelten Bioabfällen wird darin Methan-Gas gewonnen, das zur Stromerzeugung genutzt wird. Regionalen Strom, bislang erzeugt über Photovoltaik-Anlagen, hat RHE bereits in Kooperation mit den Bürgerwerken vermarktet; mit der Biogas-Verstromung kommen jährlich etwa 4,4 Millionen Kilowattstunden hinzu. Als „Nebeneffekt“ entfallen Transporte und es wird weniger Deponie-Volumen benötigt.

Im Verkehrssektor setzt der Landkreis ebenfalls Akzente. Landrat Dr. Marlon Bröhr, soeben in den Bundestag gewechselt, setzte ab 2019 mit seinem neuen „Dorfauto“-Projekt auf eCarSharing auf dem Land. In 24 Orten können Bürgerinnen und Bürger jeweils ein Jahr lang kostenlos elektrisches Autofahrer erproben; mittlerweile laufen Bestrebungen, in bis zu 20 Dörfern ein solches immissionsfreies Car-Sharing-Angebot dauerhaft zu installieren.

Darunter ist auch Neuerkirch. Das Dorf nahe Simmern will gemeinsam mit dem Nachbarort Külz den bereits seit Jahren betriebenen Bürgerbus künftig durch einen elektrisch angetriebenen ersetzen und neben den festen Bus-Touren (an zwei Vormittagen in der Woche) als E-Bürgerauto billig vermieten. Ein solcher Siebensitzer würde den vorhandenen Fuhrpark aus Pedelecs und einem Elektro-Lastenrad ergänzen. Sollte das Angebot einschlagen, ist die spätere Ausweitung des Car-Sharing-Angebots für die Gemeinden durchaus eine Option.  

In Neuerkirch war vor vielen Jahren auch die Idee eines immissionsfreien Dorfautos entstanden. Dort war es ein Umwelt-Arbeitskreis; in anderen Gemeinden bildeten sich ebenfalls bürgerschaftliche Gruppen, nicht zuletzt ermuntert durch das von der Kreisspitze getragene „ZukunftsiDeeen“-Projekt. Das dreifache E stand für die thematische Ausrichtung: Energieeffizienz, -einsparung und Erneuerbare. Kreisklimaschutzmanager Uhle lobt in diesem Zusammenhang die Mentalität der Menschen im Kreis: „Das sind Macher, die packen die Dinge einfach an.“

Regenerative Energie für die Städte

Traditionell versorgt „das Land“ die Städte mit Nahrungsmitteln. In der Umbruchphase zu einer dezentralen Energieerzeugung produziert der ländliche Raum nun auch die regenerative Energie für die Ballungszentren – verbunden mit der entsprechenden Wertschöpfung in Form von Pachterträgen. Die jährliche regionale Wertschöpfung aus dem Betrieb der Erneuerbare-Energien-Anlagen beträgt nach Berechnungen des Kreises 44 Millionen Euro.

Die Ortsgemeinden nutzen ihre Windkraft-Pachteinahmen in Höhe von jährlich rund 7,8 Millionen Euro nicht nur für Erhalt und Aufbau von Infrastruktur. Das 260-Seelen-Dorf Schnorbach gilt als Vorreiter für eine Energiespar-Richtlinie, über die ein Teil der Windpacht-Einnahmen zur Förderung von Energiesparmaßnahmen und die Umstellung auf Erneuerbare Energieversorgung der Privathaushalte an die Bürgerschaft zurückfließen soll. Innerhalb von sechs Jahren zahlte die kleine Gemeinde 153.000 Euro an Zuschüssen – und schob so Privatinvestitionen von weit über 800.000 Euro an, berichtet Ortsbürgermeister Bernd Kunz, der im Hauptberuf als Referent für die Energieagentur Rheinland-Pfalz tätig ist. Der Erfolg dieser Richtlinie wirkte „ansteckend“: Mittlerweile gelten am „Schnorbacher Modell“ orientierte Energiesparrichtlinien in mehr als 40 Ortsgemeinden.

Auch hier taucht erneut der Ortsname Neuerkirch auf. Bürgermeister Volker Wichter nennt als Auswirkung der Förderrichtlinie den Zubau zahlreicher Photovoltaik-Anlagen in seinem Ort – was die Gemeinde bezuschusst. Aktuell plant auf dieser Basis der Sportverein eine große Anlage samt Speichertechnik auf dem Turnhallen-Dach. Und für ein Neubaugebiet werde die Gemeinde Solartechnik und einen hohen energetischen Standard vorschreiben.

Die Entwicklung beeindruckt

Ortsbürgermeister Volker Wichter und Michael Uhle, Klimaschutzmanager im Rhein-Hunsrück-Kreis, vor dem Solarthermie-Feld, welches das Nahwärmenetz von Neuerkirch-Külz unterstützt.

Die Revitalisierung ländlicher Räume mittels dezentraler Energieerzeugung: Was nach purer Theorie klingt, haben der bis 2015 amtierende Landrat Bertram Fleck und Kreisklimaschutzmanager Frank-Michael Uhle seit den 1990er Jahren konsequent vorangetrieben. Die Ergebnisse können heute im Rhein-Hunsrück-Kreis authentisch und in der Praxis begutachtet werden: Fachbesucher aus mehr als 50 Nationen haben sich in den vergangenen Jahren persönlich davon überzeugen und Anregungen für ihre regionale Energiewende nach Hause mitnehmen können.

Zugleich hat die Medienaufmerksamkeit für die „Vormacher“ an Rhein und Hunsrück – gerade nach der Anerkennung als „Energiekommune des Jahrzehnts“ – enorm zugenommen. Fernseh- und Radiobeiträge in großer Zahl würdigen die Entwicklung im Rhein-Hunsrück-Kreis, wie vor wenigen Tagen das Morgenmagazin von ARD und ZDF; und nicht nur regional verankerte Printmedien wurden aufmerksam, sondern auch bundesweit verbreitete Titel wie „Stern“, die „Süddeutsche Zeitung“ oder, ganz aktuell, die Zeitschrift „Chrismon“.

Denn die positive Entwicklung kann die Kreisverwaltung mit beeindruckenden Zahlen belegen. Musste noch vor 25 Jahren der komplette Strombedarf in den Kreis importiert werden, so produzieren aktuell 276 Windräder Strom für mehr als 300.000 Haushalte. Im Jahr 2020 wurden aus lokaler Biomasse, Photovoltaik und Windkraft bilanziell rund 337 Prozent des Gesamtstromverbrauchs im Kreis erzeugt. Damit ist Rhein-Hunsrück nach Einschätzung namhafter Experten als erster Landkreis im deutschen Binnenland in den Sektoren Wärme, Strom und Abfall bilanziell CO2-neutral geworden.

Verschuldung abgebaut

Lange Zeit galt die Region als strukturschwach. 1995 betrug die Arbeitslosenquote im RHK noch 8,3 Prozent, aktuell liegt dieser Wert bei 3,5 Prozent. Mit rund 20 Prozent des Landesdurchschnittes rangiert der Rhein-Hunsrück-Kreis bei der kommunalen Verschuldung in Rheinland-Pfalz am unteren Ende. Die Gemeinden sind so gut wie schuldenfrei und verfügen über finanzielle Rücklagen in Höhe von 99 Millionen Euro. Die Einnahmen aus der dezentralen Energiewende haben wesentlich zur Entschuldung der Kommunen beigetragen.    

Die im Klimaschutz aktiven Dörfer konnten die Herausforderungen des demografischen Wandels bewältigen; Leerstand gehört dort der Vergangenheit an. Junge, gut ausgebildete Menschen schätzen die Lebensqualität und ziehen aus Ballungsräumen (zurück) auf den Hunsrück. Bürgermeister Wichter führte jahrelang eine Interessenten-Liste – für den Fall, dass in Neuerkirch mal etwas frei wird. Mittlerweile hat er dies aufgegeben. „Solche Häuser sind ruck-zuck verkauft“, sagt er,  „und oft kriege ich das nicht einmal mit.“